Vom Sozialwohnraum zum Eigentumstraum
Ständig hört man einen Satz, wenn es um die Berliner Mietmarkt-Situation geht: Berlin muss bezahlbar bleiben! Das ist eine berechtigte Forderung in der Mieterstadt Nummer 1 in Deutschland. Nun ist Berlin gemessen an anderen Städten und auch gemessen am Einkommen durchaus noch bezahlbar.
Aber ebenso begegnen uns immer öfter Berichte und Schlagzeilen über Wuchermieten und völlig unverhältnismäßige Sanierungsmaßnahmen, die dann die Verdrängung der Altmieter zur Folge haben, da die Mietpreissteigerungen im Nachgang für über 85% der Menschen finanziell nicht mehr tragbar ist. Die Situation in der Mieterstadt Berlin soll anhand einiger Beispiele verdeutlicht werden.
Klein Kleckersdorf in Reinickendorf
60, 80, ja sogar mehr als 90 Jahre leben die Bewohner der Siedlung „Am Steinberg“ – auch „Klein Kleckersdorf“ genannt. Die Kleinhaussiedlung ist eine denkmalgeschützte Wohnanlage im Ortsteil Tegel des Berliner Bezirks Reinickendorf. Erbaut wurde die Siedlung 1919-1920 durch den Berliner Architekten und Stadtbaumeister Ernst Hornig für kinderreiche Familien gebaut. Kriegsinvalide und Beamte zogen hier samt Kind und Kegel ein. So auch die Eltern von Edith Franke im Jahre 1955, mit 2 Söhnen, Tochter und Schwiegersohn.
„Es ging wunderbar damals. Es war höchstens ein wenig eng, wenn Besuch kam. Aber das war alles überschaubar und Platz ist bekanntlich auch in der kleinsten Hütte.“ Die Eltern und ihr Mann sind längst verstorben, die Brüder längst auch nicht mehr da. Edith Franke ist die letzte ihrer Familie. Das Häuschen ist, wie die Bewohnerin, in die Jahre gekommen: Ofenheizung in den Zimmern sowie in Bad und Küche. Aber sie ist zufrieden mit dem, was sie hat: „Es ist doch schön so und ich kenne es auch nicht anders. Die Heizerei hält mich in Bewegung und außerdem ist es einfach eine Sache der Gewohnheit.“ Doch der Ofen muss raus, denn die Siedlung wurde verkauft.
Von der Siedlung „Am Steinberg“ zu „Stonehill Gardens“
Der Investor meint, die Mieter müssten umfangreiche Modernisierungen dulden. Die Dächer sollen ausgebaut werden, die Wände in den unteren Geschossen werden rausgenommen und natürlich kommt überall eine Fußbodenheizung rein. Die Krönung ist jeweils eine verglaste Veranda und ein Swimmingpool, der jeden Garten schmücken soll. Leerstehende Häuser der Siedlung werden bereits jetzt im Internet so angeboten – als denkmalgeschützte Immobilien zum Steuern abschreiben. Stolze 585.000 Euro beträgt der Kaufpreis, wovon es gut 40% vom Staat zurückgibt. Auch einen neuen Namen bekommt die neue Siedlung – nicht mehr „Am Steinberg“ wird sie heißen, sondern „Stonehill Gardens“. 1623,- Euro Miete pro Monat soll so ein Häuschen dann an Miete kosten. Bei knapp 1000,- Rente kann sich dies kein einziger Bewohner mehr leisten. „Das ist ein absoluter Treppenwitz!“, empören sich die derzeitigen Bewohner – und Recht haben sie.
Sie fordern einen Mieterschutz, besser einen Millieuschutz. Hierfür haben sie eine Initiative gegründet und die Politik um Hilfe gebeten. Und siehe da: Modernisierungen, wie jetzt Am Steinberg angekündigt, sollte es eigentlich gar nicht geben dürfen. Die Siedlung gehörte einst der kommunalen Wohnungsbaugesellschaft GSW. Bei deren Verkauf legte das Abgeordnetenhaus damals genaue Bestimmungen zum Mieterschutz fest, die bei jedem Weiterkauf gelten sollten.
Lisa Paus, Mdb (BÜ‘90/Grüne): „Keine Luxusmodernisierungen, keine Mieterhöhungen über den Mietspiegel und vor allem sozialverträgliche Mietsteigerungen sind vertraglich zugesicherte Eckpunkte. Das hat der Senat mit den neuen Eigentümern verhandelt.“ Nachfragen beim neuen Eigentümer, der Am Steinberg Entwicklungsgesellschaft mbH, werden wie meistens in solchen Fällen lediglich schriftlich beantwortet: „Der Privatisierungsvertrag der GSW von 2004 ist uns nicht bekannt, so dass wir zu den dortigen Bestimmungen und etwaigen Bindungen keine Aussagen treffen können.“
Der ganze Mieterschutz also nichts wert? Das kann ja wohl nicht sein, heißt es bei der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung. Der Staatssekretär, Hr. Prof. Dr. Engelbert Lütke Daldrup: „Die Bestimmungen des Vertrages, die dem Mieterschutz dienen, müssen auf die neuen Erwerber übertragen werden und die neuen Erwerber, also die heutigen Eigentümer der Siedlung, müssen diese Bestimmungen auch definitiv anwenden.“ Auf Nachfrage, ob sich der neue Eigentümer hier mit vorgenanntem Statement aus der Affäre ziehen kann, antwortet Daldrup: „Nein, das wäre höchstens eine Schutzbehauptung, ist aber rechtlich nicht haltbar.“
Forderung nach chnelleren Millieuschutzsatzungen
Auf eine Gerichtsentscheidung können und wollen die Mieter aber nicht warten. Sie hoffen, dass der Bezirk Reinickendorf für die Siedlung eine Millieuschutzsatzung beschließt. Das Ziel: Die heutigen Mieter sollen wohnen bleiben können. Bereits in der vergangenen Woche hat die Bezirksverordnetenversammlung das Bezirksamt beauftragt, eine solche Satzung zu entwerfen. Ein paar Hoffnungsschimmer, immerhin. Vielleicht muss Edith Franke doch nicht mehr auf die Flucht gehen, die sie angesichts der derzeitigen Situation so empfindet. Zu wünschen bleibt es ihr und allen Bewohnern von Klein Kleckersdorf.